Jobcenter setzen vor Ort wesentliche Teile der Arbeitsmarktpolitik um. Sie stehen im Kontakt
zu Menschen, die Arbeit suchen und finanzielle Unterstützung benötigen. Dass in den letzten
eineinhalb Jahren unter anderem persönliche Gespräche nur eingeschränkt möglich waren
und Betriebe weniger offene Stellen meldeten, beeinflusste die Arbeit der Jobcenter. Daneben
gibt es natürlich Themen, die die Jobcenter auch jenseits der Corona-Pandemie beschäftigen.
Um einen Einblick in die Situation vor Ort zu bekommen, fragten wir zehn Leiterinnen und
Leiter von Jobcentern: Was würde die tägliche Arbeit in Ihrem Jobcenter am meisten
erleichtern? Ihre (von der Redaktion zum Teil gekürzten) Antworten sind selbstverständlich
nicht statistisch repräsentativ für die 406 Jobcenter in Deutschland, geben aber ein
facettenreiches Bild, aus dem einzelne Teilaspekte hervortreten. Lesen Sie selbst:
Eine große Erleichterung in der täglichen Arbeit wäre es, wenn es möglich wäre – nach dem
Motto „Lernen aus der Krise“ – die erleichterten Zugangsvoraussetzungen zur
Grundsicherung beizubehalten [Anmerkung der Redaktion: Diese gelten derzeit für die ersten
sechs Monate nach der Bewilligung eines Antrags auf Grundsicherungsleistungen und sind bis
zum 31. Dezember 2021 befristet]. Das sollte gelten für alle Neuzugänge, natürlich
individuell mit einem Datum für deren Ende. Der Vorteil wäre einerseits eine erleichterte
Leistungsberechnung. Andererseits könnten die Arbeitsvermittler mit ihren Kundinnen und
Kunden entspannter über Strategien sprechen, ohne dass sofort Existenzängste hemmend
wirken. Die Chance, dass es in vielen Fällen mit der Vermittlung noch vor Ablauf der
erleichterten Voraussetzungen klappt, schätze ich als relativ groß ein.
Thomas Wendrich, Traunstein
Aus meiner Sicht haben die Regelungen zum erleichterten Zugang in den Leistungsbezug des
SGB II ihre Wirkung voll entfaltet. Hier sollte über eine dauerhafte Implementierung
nachgedacht werden. Gleichzeitig gilt es nach wie vor, im öffentlichen Dienst bürokratische
Hürden abzubauen. Speziell im Umgang mit Kundinnen und Kunden, die eine schlechte
Integrationsprognose haben, wünsche ich mir den politischen Willen, sich auf nachhaltige und
innovative Beratungs- und Kommunikationsformen einzulassen. Eine zusätzliche Thematik ist
die knappe Bemessung des Verwaltungskostenbudgets. Hier müssen jährlich
Umschichtungen aus dem Vermittlungsbudget zur Deckung der Verwaltungskosten
vorgenommen werden. Infolge dessen können weniger Gelder für die individuelle Förderung
unsere Kundinnen und Kunden mit Eingliederungsmaßnahmen eingeplant werden. Mit Blick in
die Zukunft sehe ich das Jobcenter als modernen Dienstleister im öffentlichen Sektor, der
seine Kundinnen und Kunden bedarfsgerecht beraten und unterstützen muss. Digitale
Lösungen können dieses Leistungsversprechen unterstützen.
Tobias Wilde, Schwarzwald-Baar-Kreis
Die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist seit ihrer Einführung im Jahr 2005 schon mehrfach
maßgeblich verändert worden. Aktuell wird die 11. Änderung auf politischer Ebene diskutiert
[Anmerkung der Redaktion: mittlerweile auf die kommende Legislaturperiode vertagt].
Beabsichtigte Vereinfachungen haben sich bisher im Alltag der Jobcenter aber häufig
gegenteilig ausgewirkt. Teilweise konnte sogar erst durch die Rechtsprechung eine
einheitliche Anwendungspraxis hergestellt werden. Wesentlich erleichtern würde sich die
Arbeit in den Jobcentern durch eine umfassende Gesetzesreform, welche die Erfahrungen der
letzten 15 Jahre ausreichend berücksichtigt und auf die Herausforderungen der Zukunft
ausgerichtet ist.
Andreas Bruns, Landkreis Friesland
Die Pandemie zeigt, dass wir trotz umfassender Beratungsangebote und digitaler Wege der
Förderung nicht alle Menschen gleichermaßen erreichen. Deshalb müssen wir kreativ nach
neuen Wegen suchen, um die Menschen zu erreichen, die unsere Unterstützung dringend
brauchen, aber vom „Schreibtisch“ aus nur unzureichend angesprochen werden können.
Dadurch, dass sich die Lebenswelt der Menschen im Lokalen am stärksten widerspiegelt,
kann Quartiersarbeit ein effektives Mittel sein, um Beziehungen und Vertrauen vor Ort
aufzubauen und unsere Angebote an den konkreten Lebenslagen der gesamten
Bedarfsgemeinschaft auszurichten.
Anke Schürmann-Rupp, Gelsenkirchen
Wünschenswert ist eine klare politische Position über die Zukunft der Jobcenter und ihre
gesellschaftliche Bedeutung. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit Entwürfen und
Vorstellungen möglicher zukünftiger Regierungsparteien zur Überwindung von „Hartz IV“.
Dadurch könnten Verunsicherungen unter den Beschäftigten entgegengewirkt werden, was
wiederum motivierend wirken würde. Durch eine stärkere öffentliche Würdigung und
Wertschätzung der Leistungen der Jobcenter kann auch die Akzeptanz und Bereitschaft der
Kundinnen und Kunden, bei Angeboten zur Überwindung ihrer Hilfebedürftigkeit mitzuwirken,
wieder gestärkt werden. Erleichtern würden uns die Arbeit ebenfalls „echte“
Rechtsvereinfachungen. Sehr wichtig ist auch ein auskömmlicher Haushalt, um
Förderleistungen bedarfsorientiert anbieten zu können.
Christina Felgenhauer, Mecklenburgische Seenplatte-Nord
Die gesellschaftliche und leider zunehmend auch politische Stigmatisierung des Systems der
Grundsicherung für Arbeitssuchende steht der Bedeutung dieses Eckpfeilers unseres
Sozialstaats sowie der Leistungsfähigkeit der Jobcenter diametral entgegen. Dies hat in
Verbindung mit den bürokratischen Auswüchsen zur Bewältigung der immer komplexer
werdenden Rechtsnormen ganz erhebliche negative Auswirkungen auf unsere Arbeit mit den
bzw. für die leistungsberechtigten Menschen. Unsere Arbeit zum Wohle der Beteiligten
könnte insbesondere mit einer nicht nur beabsichtigten, sondern tatsächlichen Rechtsvereinfachung
und der damit einhergehenden Entbürokratisierung nachhaltig
erleichtert werden. Aktuell bleiben zu viele „PS“ der Jobcenter im Getriebe hängen, anstatt in
die Beratung und Integrationsförderung investiert werden zu können.
Michael Knapp, Kreis Segeberg
Das SGB II enthält einen ausdrücklichen Beratungsauftrag für unsere Kundinnen und Kunden
in allen Lebenslagen. Neben der erfolgreichen Telefonberatung und den neuen Möglichkeiten
der digitalen Kundenkommunikation ist uns insbesondere auch in der Pandemie nochmals
bewusstgeworden, dass für viele unserer Kundinnen und Kunden, das persönliche
Beratungsgespräch für eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung, soziale Teilhabe sowie eine
erfolgreiche berufliche Integration von großer Bedeutung ist. Dies möchte und wird das
Jobcenter Stadt Regensburg so bald wie möglich wieder anbieten. Ergänzend wünschen wir
uns für die Zukunft ein weiterhin konsequentes, rechtssicheres, gut umsetzbares System des
Förderns und Forderns auf Augenhöhe – erweitert um die Idee des Förderns und Belohnens
von Qualifizierung und dauerhafter, beruflicher Integration.
Birgitt Ehrl, Stadt Regensburg
Mit den Erkenntnissen aus der Corona-Pandemie wäre die dauerhafte Etablierung hybrider
Beratungsformen in den Jobcentern als ein flexibles modernes Instrument eine erhebliche
Arbeitserleichterung und ein guter Schritt in Richtung Digitalisierung. Dies müsste aber
sowohl politisch als auch rechtlich durch das SGB II unterstützt werden. Zudem brauchen wir
für eine erfolgreiche Durchführung die notwendigen finanziellen Ausstattungen, um die
erforderlichen technischen und personellen Ressourcen dafür zu schaffen und dauerhaft
erfolgreich zu implementieren. Zudem wäre eine lang versprochene, praxisnahe
Rechtsvereinfachung, welche Umsetzungsideen und Vorschläge aus der operativen Praxis
aufgreift und einbezieht, mehr als wünschenswert.
Steffi Ebert, Landkreis Schmalkalden-Meiningen
Eine sachorientierte, wissenschaftsbasierte Fortentwicklung des SGB II, orientiert an den
Bedarfen der Menschen. Vertrauen und Zutrauen statt Misstrauen, Belohnung von
Anstrengungsbereitschaft durch einfache Förderinstrumente und motivierende
Einkommensanrechnungsregeln und Pauschalen statt Nachweispflicht zur Erhöhung der
Eigenverantwortung. Für unsere Netzwerkarbeit sind datenschutzrechtliche Einschränkungen
auf ein praxistaugliches Maß anzupassen. Zur Kommunikation sind die digitalen
Möglichkeiten zu nutzen und gleichsam der persönliche Zugang und Kontakt bestmöglich und
wahlfrei zu ermöglichen. Unterstützend ist eine qualitativ gute sowie zielgerichtete und den
Personalbedarf deckende Ausbildung von Fachpersonal durch die verantwortlichen SGB-IITräger.
Stefan Graaf, StädteRegion Aachen
Das SGB II wurde über die Jahre mehrfach auch mit dem Ziel der Rechtsvereinfachung
geändert. Leistungsberechtigte empfinden die Rechtslage trotzdem oft als nicht
nachvollziehbar und kompliziert, was die Beratungsgespräche im Jobcenter erheblich
erschwert. Für mehr Bürgerfreundlichkeit, zur Vermeidung unnötiger Bürokratie und für eine
transparente und kooperative Beratung bleibt es daher ein zentrales Thema, die
Rechtsmaterie des SGB II wirklich zu vereinfachen. Dazu hat der Deutsche Landkreistag in
seinem Positionspapier vom März 2021 notwendige Vereinfachungsbedarfe skizziert.
Personelle Ressourcen im Jobcenter könnten dann für alle gewinnbringender im Prozess der
Eingliederung in den Arbeitsmarkt eingesetzt werden.
Susann Lenz, Landkreis Meißen
Autor: IAB-Forum https://www.iab-forum.de/was-wuerde-die-arbeit-der-jobcenter-erleichtern-ein-stimmungsbild-aus-der-praxis/